Auf dem Weg zum Hauptstadttriathlon stolpern unsere Schreibtischhelden in die zweite Trainingswoche.
Andreas zweite Woche: Von Schönwetterläufern, einem erbärmlichen Quadrizeps und dem Versuch, drei Mal hintereinander das Wort „Breitblättriger Stendelwurz“ zu sagen
Montagmorgen, 6.30 Uhr. Nehme all meinen Mut zusammen und stelle mich nicht auf die Waage. Heiße ja nicht Christian. Außerdem steht unsere Waage sowieso seit dem Wasserrohrbruch letzte Woche (mit gefluteter Küche und aufgestemmtem Bad) unter dem Bett und ist mittlerweile so weit darunter gerutscht, dass ich, ohne mich flach auf den Bauch zu legen und darunter zu kriechen gar nicht mehr drankomme. (Zumal ich mit meinem Körper sowieso nur in schmale Räume krieche, wenn man mir vorher ausreichend Benzodiazepin gespritzt hat. Und die Anästhesistin will ich sehen, die hier antanzt und mir nen Zugang legt, nur, damit ich meine Waage unter dem Bett hervorholen kann. Und wenn Sie jetzt finden, anstelle von mir könne ja der Franz oder eines unserer Kinder unter das Bett kriechen, dann kann ich nur sagen: Alter! Reden wir etwa immer noch über meine Waage?!)
Somit erspare ich allen Beteiligten diese hässlichen Erfahrungen und gehe stattdessen laufen. Mal wieder. Ich bin auch arg stolz, weil, Sie erinnern sich, ich kann ja eigentlich gar nicht laufen. Auch diese Woche habe ich die Kilometer, die am Ende dieses Beitrags stehen, durchweg allesamt ge-stop-and-go-ed. Also nicht nur. Ab und zu bin ich auch gehumpelt, weil selbst gefaketes Joggen irgendwann in Waden und Knick-Senk-Füßen zipt. Örgs. Ich weiß schon, warum ich früher in der Schule immer dienstags und donnerstags meine Tage hatte…
Aber ich habe durchgehalten. Drei Mal bin ich diese Woche in mein Auto gestiegen und zum Laufen gefahren. Tja, Sie lachen. Aber in meinem Handvoll-Häuser-Dorf sind alle Laufstrecken vor meiner Haustür leider leider geteert. Die Gelenke, Sie verstehen. (Haha! Gar nicht! Ich will nur nicht, dass mich einer sieht.)
Jedenfalls bin ich jedes Mal 6 km weiter in meine Viele-Hände-voll-Häuser-Kleinstadt gefahren und habe DEN Trimm-Dich-Hot-Spot meiner Heimat besucht: den Klärteich. Pardon, Bergsee.
So wurde die Grube, in der bis in die späten 60er Jahre der Klärschlamm von Deutschlands nördlichstem Eisenerzbergwerk geleitet wurde, nämlich irgendwann genannt. (Offenbar zählten Broschüren, die mit „Urlaub am Klärteich“ warben, eher zu den Ladenhütern.)
Jedenfalls wird dieser idyllische 3-km-Rundkurs heutzutage nicht nur von Birken, Brombeeren und dem Breitblättrigen Stendelwurz, sondern auch von der regionalen Laufelite bevölkert.
Hier kann man sie täglich in freier Wildbahn beobachten. Die schönen und schlanken, in neonfarbenes Nylon gehüllten Menschen, die vor allem an den Wochenenden eine so schöne und schlanke, in neonfarbenes Nylon gehüllte Figur machen.
Keine Frage, da muss ich mitmachen. Also unter der Woche. Wenn es regnet. Dann bleiben nämlich die Schönschlankneons lieber zu Hause und der untrainierte Bodensatz kommt aus seinen Löchern gekrochen.
Da kommen sie dann reihenweise auf den Parkplatz vorgefahren. Die Schlappen und Klapprigen, Weichen und Post-postpartalen, deren traurige Quadrizepsüberreste nur noch von einer nachtblauen Tchibo-Leggings zusammengehalten werden.
So laufe ich also brav zu verregneten Unzeiten auf und schätze meine solidarischen Mitläufer. Man winkt sich freundlich zu und veratmet gemeinsam die Seitenstiche. Tatsächlich wurde ich bislang nur ein einziges Mal von einem Untrainierten angedisst.
Und zwar von einem reichlich Klapprigen, der sich mit seinem Hündchen unter die Underdogs gemischt hatte. Der rief mir doch tatsächlich beim Überholvorgang: „Na, jetzt aber mal’n bisschen Gas geben, Mädchen“ hinterher.
Tja, was soll man da erwidern? Nun, natürlich etwas Freundliches. Ich laufe nämlich ohne Brille und kann daher nie zuverlässig sagen, ob es sich bei dem pampigen Schlapprigen, der da mit mit Hut und Töle mein Karma infiltriert, um den OpaVaterLehrer meiner KinderNachbarnoderBäckereifachverkäuferinmeinesVertrauens handelt. Deshalb lächele ich und weise höflich mit den Worten: „Das ist mein erstes Training seit dem Kreuzbandriss.“ auf meine Kniebandage hin.
Und das ist nicht mal gelogen. Muss ja keiner wissen, dass das Kreuzband bereits 1991 gerissen ist. (Übrigens das einzige Jahrzehnt, in dem ich tatsächlich noch ein „Mädchen“ war.)
Aber ansonsten sind die Unter-der-Woche-bei-Regen-Läufer alle echt dufte. Und wer weiß? Vielleicht gehören wir eines Tages ja auch zu den Schönschlankneons, die am Wochenende um den Klärt-, pardon, Bergsee laufen.
Andreas Wochenbilanz:
- Geschwommen: 3,0 km (Guckst du, Christian.)
- Geradelt: 0 km (Uh, radeln. Immer noch voll örgs!)
- Gelaufen: 16,2 km
- Spotifylist-Neuzugang: (She lives on) Love Street von The Doors
Apropos, Christian!
Wie war deine Woche?
Christians zweite Woche: Von „Trainingslagern“, Pub-Food und königlichen Schwänen
Montag, 18.40 Uhr. Sitze seit rund zwölf Stunden im Zug und erreiche gerade Brockenhurst. Höft sich an wie eine finnische Metal-Band, ist aber ein kleiner Ort im Süden Englands. Ich bin auf dem Weg auf die Isle of Wight für ein einwöchiges Trainingslager. Okay, eigentlich treffe ich mich dort mit meiner Agenturpartnerin, die seit ein paar Jahren auf der Insel lebt, um unser Jahr zu planen. Aber meinen Aufenthalt als Trainingslager zu bezeichnen, erweckt den Eindruck, ich sei ein fokussierter und disziplinierter Athlet, der sich gewissenhaft auf den Triathlon vorbereitet. Das bringt mir sicherlich die Bewunderung meiner Co-Triathletin Andrea ein. Und ihren Hass. (Wahrscheinlich mehr Hass als Bewunderung.
Um diesen Eindruck gleich mal zu korrigieren: Ich habe noch gar keinen richtigen Triathlon-Trainingsplan und eine richtige Badehose fürs Schwimmen, habe ich mir auch noch nicht gekauft. Das schmälert Andreas Bewunderung für mich wahrscheinlich deutlich. Und ihren Hass. Hoffentlich.
Sie haben übrigens richtig gelesen, dass ich mit dem Zug (und der Fähre) auf die Isle of Wight fahre. (Greta nickt wohlwollend.) Bisher lief alles super. Keine Verspätungen, keine Zugausfälle, keine verpassten Anschlusszüge. Nur mein Reiseproviant lässt zu wünschen übrig. Mein Vergangenheits-Ich von gestern Abend hielt es für eine gute Idee, als Teil meiner Triathlon-Diät für die 14-Stunden-Fahrt lediglich acht zuckerfreie Müsliriegel einzupacken.
Mein Gegenwarts-Ich hasst mein Vergangenheits-Ich.
Mittwochmorgen, 7.30 Uhr. Laufe leicht keuchend am Fluss Yar entlang. Wenn ich das ganze hier schon als Trainingslager tituliere, muss ich ja auch laufen gehen. Meine körperliche Verfassung passt aber nicht so recht zu der malerischen Landschaft. Meine Leistungsfähigkeit leidet sicherlich unter dem einstündigen Jetlag. Anders kann ich mir meine Erschöpfung nach nur 500 Metern nicht erklären. Kurzatmig mühe ich mich Meter für Meter voran. Meine Playlist shuffelt mir Country House von Blur in die Ohren.
Der Flussweg ist eine beliebte Strecke für Hundebesitzer. Eigentlich bin ich nicht besonders ängstlich, was Hunde angeht. In Berlin habe ich ein stillschweigendes Abkommen mit ihnen: Wir ignorieren uns gegenseitig. Aber wissen die englischen Hunde von dieser Vereinbarung? Oder sind es fanatische Brexiteers und wollen mich zähnefletschend von der Insel vertreiben? Und können sie meine German Angst riechen und wollen mir in den Allerwertesten beißen?
Ein Mann mit einem großen schwarzen Labrador kommt mir entgegen. Als wir auf gleicher Höhe sind, bellt mich der Hund fröhlich an, sein Herrchen ruft in scharfem Ton „Shush!“ Ich denke, er meinte den Labrador, aber ich bemühe mich trotzdem, leiser zu keuchen.
Donnerstagabend, 18 Uhr. Wir sitzen im Pub und essen zu Abend. Wie es sich gehört, wenn du in England bist. Das englische Pub-Essen ist inzwischen viel besser als sein Ruf.
Da gibt es nicht nur mittelalten gebackenen Fisch an labberigen Chips oder ein fragwürdiges Stew, in dem die Reste der letzten drei Wochen verkocht wurden und das höchstens Menschen essen, denen Wildwasser-Rafting oder Fallschirmspringen nicht aufregend genug sind. (Jochen-Schweizer-Erlebnisgutschein „Englisches Stew essen“) Auf den Speisekarten der Pubs gibt es heutzutage auch internationale Speisen, Vegetarisches, Veganes, Glutenfreies und alles, was das Herz der von Lebensmittelunverträglichkeiten Geplagten höher springen lässt.
Ich absolviere in der Woche ein Burger-Tasting. Bisher hatte ich einen Mushroom-Burger mit karamellisierten Zwiebeln und Ziegenkäse im Bugel Coaching Inn, einen Chicken-Breast-Burger im King’s Head sowie einen vorzüglichen Beef-BBQ-Pork-Burger mit gegrilltem Gallybagger-Cheese im Taverners. Verträgt sich das Pub-Food mit meiner Triathlon-Diät? Wahrscheinlich nicht. Ist es total köstlich? Definitiv ja!
Freitagmorgen, 7.15 Uhr. Erneut auf der Laufstrecke. Aufgrund der abendlichen, kulinarischen Ausschweifungen besteht eine gewisse Notwendigkeit, durch das Laufen meine wöchentliche Kalorienbilanz wenigstens einigermaßen ins Lot zu bringen.
Der Wind bläst mir unangenehm ins Gesicht, was das Lauferlebnis nicht gerade erfreulicher macht. Aber ich möchte mich nicht beklagen, sondern ertrage es würdevoll mit der „Stiff upper lip“-Einstellung eines britischen Gentlemans. Allerdings ist mein ganzes Gesicht stiff und fratzenhaft verzerrt, was der Würde etwas abträglich ist.
Weil meine Brille andauernd beschlägt, erkenne ich erst ziemlich spät, dass mir plötzlich eine Gruppe von Schwänen den Weg versperrt. Ein Schwäne-Schwarm. Oder ist es eine Herde? Oder eine angriffslustige Horde? Meine Kollegin erzählt mir später, dass Schwäne in England nicht geschossen werden dürfen, da sie als Eigentum der Königin gelten. Hätte ich das gewusst, hätte ich die Schwäne mit einem freundlichen „God save the Queen!“ gegrüßt.
Jetzt weiß ich aber noch nichts von ihrer royalen Abstammung und mich beschäftigt die Frage, wie ich an ihnen vorbeikomme, ohne von ihnen attackiert zu werden. Ich täusche Gleichgültigkeit vor und versuche, mich ohne Aufsehen zu erregen, am Wegesrand entlangzuschleichen. Ob Schwäne wohl German Angst riechen können? Hoffentlich nicht, denke ich, als ich sie passiere. Hauptsache, wir kommen an!
Christians Wochenbilanz:
- Geschwommen: 0 km (Der Yar war eindeutig zu kalt für eine Trainingseinheit.)
- Geradelt: 0 km (Im Linksverkehr Fahrrad fahren? Ich bin ja nicht lebensmüde.)
- Gelaufen: 31,50 km (Umfang ist wieder okay, Tempo ist aber noch sehr ausbaufähig und deswegen sollte Tempo in Ausrufezeichen geschrieben werden. „Tempo“.)
- Spotify-Neuzugang: Country House von Blur.
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